Dr. Leo Koref
Vor 85 Jahren fanden im sog. „Dritten Reich“ Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung statt, auch in Hanau. Am 10. November steckten NS-Schergen die Synagoge in der Nordstraße in Brand. Feuerwehr und Bevölkerung schauten zu – oder weg. Jüdische Geschäfte wurden demoliert und mit „Judensternen“ beschmiert. Jüdische Männer wurden in „Schutzhaft“ genommen oder in Konzentrationslager verschleppt. Es folgten Verfolgung, Vertreibung und industrieller Massenmord.
Opfer der Pogrome war u. a. die Hanauer Familie Koref. Eine bedeutende Fotoschenkung an den Hanauer Geschichtsverein 2012, die im Stadtarchiv aufbewahrt wird, erinnert an Rechtsanwalt Dr. Leo Koref.
Leo Koref wurde am 30. Januar 1876 in Rawitsch (damals preußische Provinz Posen) als Sohn des Rabbiners Dr. Markus Koref und seiner Frau Recha, geboren. Mit 6 Jahren erkrankte er an Kinderlähmung, die eine bleibende Beinlähmung und Gehbehinderung zur Folge hatte. Am 25. März 1884 erfolgte die Anmeldung der Familie mit Leos Geschwistern Henriette, Rosa, Lea und Felix in der Judengasse 56 (seit 1898 Nordstraße), der Hanauer Dienstwohnung des Rabbiners. In Hanau wurden noch die Kinder Fritz, Curt und Else geboren. Leo besuchte die Hohe Landesschule, die er 1894 mit dem Reifezeugnis verließ. Nach vorübergehender Tätigkeit in einem Hanauer Bankgeschäft studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten Berlin, München und Marburg, legte die erste Staatsprüfung ab und wurde zum Dr. jur. promoviert. 1902 avancierte er zum Gerichtsassessor und am 23. Januar 1903 zum Rechtsanwalt beim Landgericht Hanau. Als Sozius von Rechtsanwalt Dr. Malkmus bezog er sein Büro am Marktplatz 16, am 11. Juni 1920 wurde Dr. Koref zum Notar ernannt. Nachdem sich Malkmus aus gesundheitlichen Gründen zurückzog, nahm Koref in seiner Praxis Rechtsanwalt Max Moritz als Mitarbeiter auf. Im Festbuch zur Einweihungsfeier der Ferdinand-Gamburg-Loge verfasste er 1910 einen "Überblick über die Geschichte der Juden in Hanau", 1921 ist er Mitglied des israelitischen Vorsteheramts belegt und im Hanauer Anzeiger vom 5. April 1923 erschien von ihm ein Artikel über das "Geldentwertungsgesetz und die freien Berufe". Er war nicht verheiratet.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann auch seine Entrechtung und Verfolgung: Am 7. Juni 1933 wird Dr. Koref aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" aus seinem Amt als Notar entlassen, am 30. November 1938 verliert er die Zulassung als Rechtsanwalt. In seiner Privatwohnung in der Corniceliusstraße 12 darf er vom 1. November 1938 bis 31. März 1939 nur noch als „Rechtskonsulent von Juden für die Landgerichtsbezirke Hanau und Marburg“ tätig sein. In den Abendstunden des 13. November 1938 drangen mehrere maskierte Nationalsozialisten in die in der ersten Etage gelegene Wohnung ein, bedrohten die Mutter mit einer Pistole, misshandelten Leo mit Faustschlägen, zerschlugen eine Flasche auf seinem Kopf, zerbrachen seine Krücken, zerstörten und plünderten die Einrichtung, stahlen Schmuck, mehrere Tausend Reichsmark und eine Schreibmaschine, zerschnitten Teppiche und Polstermöbel. Trotz sofortiger Anzeige wurden die Täter nie ermittelt. Behandelt wurde Koref von Dr. Seufert in Vertretung von Dr. Bernhard Pfältzer. Dieser sorgte dafür, dass Koref in das Jüdische Krankenhaus Frankfurt gebracht wurde. Danach musste das Anwesen verkauft werden, das Vermögen wurde eingezogen, die Mutter in einem jüdischen Altersheim in Frankfurt untergebracht. Am 1. April 1939 siedelte Leo Koref ebenfalls nach Frankfurt in das „Judenhaus“ Westendstraße 98 über. Am 18. August 1942 wurde er zusammen mit seiner Mutter Recha in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sein Bruder Fritz erfuhr von einer Krankenschwester, die Theresienstadt überlebt hatte, dass seine Mutter dort gleich nach der Ankunft und Leo Koref am 17. Oktober 1942 umkamen.
In den Unterlagen von Hanaus einstigem Kulturstadtrat Oskar Schenck im Stadtarchiv, der sich in den Nachkriegsjahren große Verdienste um die Aussöhnung zwischen jüdischen, evangelischen und katholischen Bürgerinnen und Bürgern Hanaus erworben hat, finden sich folgende Zeilen: Dr. Leo Koref war ein sehr begabter, gewissenhafter Rechtsanwalt, der sich in Hanau durch seine Aufgeschlossenheit, sein faires Verhalten sowie seine Menschenfreundlichkeit eine ansehnliche Praxis geschaffen hatte. Seine Klienten waren gut bei ihm aufgehoben. Er widmete sich ihnen auch dann mit aller Kraft, wenn sie nicht in der Lage waren, die ihm zustehenden Anwaltsgebühren zu zahlen. Er war ein guter Mensch im wahrsten Sinne des Wortes und hat im Stillen so Manchem eine Unterstützung in Geld zuteilwerden lassen. Bekannt war in Juristenkreisen, daß er so manches Mal in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebende Referendare zum Mittagessen in den damaligen Bürgerverein eingeladen hat. Bei den Hanauer Richtern erfreute er sich wegen seiner ausgezeichneten Schriftsätze und seines taktvollen honorigen Verhaltens in Prozessen großer Achtung und Wertschätzung.
An Recha und Dr. Leo Koref wird an der 2010 eingeweihten Gedenkstätte Ehemalige Ghettomauer am Freiheitsplatz Hanau mit Bronzetäfelchen gedacht. Seine Geschwister starben vor 1933 oder konnten emigrieren: Henriette nach Palästina, Rosa und Fritz nach Frankreich und in die Schweiz. Angesichts der aktuellen politischen Lage und steigender antisemitischer Übergriffe mahnt das Schicksal der Hanauer Familie Koref: „Nie wieder ist Jetzt!“