Käs’roller
Der Hanauer Mainhafen feiert dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Er wurde am 24. Oktober 1924 feierlich eröffnet (siehe OdW #200). Das Jubiläum steht demnach auch im Zentrum des Bürgerfests vom 6. bis 8. September. Mit dem Einlassbändchen haben Sie an den drei Tagen übrigens freien Eintritt in das Historische Museum Hanau plus GrimmsMärchenReich im Schloss Philisppruhe!
Am Hafenbecken wurde von 1921 bis 1924 eifrig gebaut, damals noch auf Großauheimer Gemarkung. Das Wirtschaftsprojekt, das bereits 1891 auf den Weg gebracht wurde und am Ende eine 2.800 Meter Kailänge erreichte, war zugleich ein riesiges Arbeitsbeschaffungsprogramm zur Linderung hoher Erwerbslosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg. Von der Innenstadt kommend fuhr und fährt man noch heute auf ein (jetzt von Bäumen verdecktes) mächtiges Portal als Eingang des Hafengeländes zu - wegen der Bundesstraße nur nicht mehr hindurch. Rechts und links davon entstanden höchst moderne und arbeitsstättennahe Wohnblocks für die Beschäftigten der Hafenbetriebe. Der Komplex steht im Eigentum der Baugesellschaft Hanau, die ihn in den letzten Jahren sukzessive renoviert und im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ zusammen mit Initiativen, den Bewohnerinnen und Bewohnern auch zu einem Kulturhotspot mit Ateliers und kleiner Galerie entwickelt hat.
Kunst vor Ort und am Bau wurde auch vor 100 Jahren groß geschrieben: Die recht martialisch dreinblickenden Kolossalfiguren über der alten Einfahrt hat der am 24. April 1876 in Hanau geborene Bildhauer August Bischoff geschaffen. Sein Vater Gustav war Graveur und Stempelschneider. Bischoff studierte von 1890 bis 1896 bei Max Wiese an der Königlichen Zeichenakademie und 1901 bis 1904 in der Meisterklasse von Friedrich Hausmann an der Städelschule in Frankfurt am Main. Ab 1897 unterhielt er eigene Ateliers in Frankfurt und Hanau, wo er u.a. Vorlagen für die Hanauer Edelmetallindustrie fertigte. Das bescherte ihm das nötige Geld für Studienreisen u.a. nach Dresden, Berlin, Paris oder Rom.
Später wurde er vor allem durch Großplastiken und Bronzestatuen, aber auch Grab- und Ehrenmäler bekannt. So durch die beiden Männer am Hafentor, die Handel und Arbeit als „Denkmal der Arbeit“ symbolisieren. Da sich der eine auf große Zahnräder stützt, werden sie im Volksmund "Käs’-Roller" genannt. Der Begriff hat sich über Generationen weitergetragen und zeugt von einer gewissen Sympathie: liebgewonnene Gebäude oder Kunstwerke erhalten Kosenamen, denken wir an "Schwangere Auster" für die Kongresshalle Berlin oder den „Langen Eugen“ für das Abgeordnetenhochhaus in Bonn.
Die Beton-Arbeiter werden ab und an als NS-Kunst bezeichnet. Da bereits 1924 entstanden, ist dies nicht richtig. Allerdings wurde Bischoffs Kunst ab 1933 vom NS-Regime goutiert und er selbst hat sich dem Regime angedient bzw. nicht eindeutig von ihm distanziert. So nahm er 1939 bis 1941 und 1943 mit fünf Werken an der Großen Deutschen Kunstausstellung in München teil.
Weitere Arbeiten von ihm befinden sich u.a. in Frankfurt am Main: Porträtreliefs von Heinrich Hoffmann, Engelbert Humperdinck und Adolf Stoltze, ein Enten-Brunnen in Hausen, der Dr. Bockenheimer-Brunnen auf dem Oppenheimer-Platz in Sachsenhausen (der Bronzeguss von 1932 wurde 1942 eingeschmolzen und 1949 durch einen Neuguss aus Kupfer ersetzt), das Grabmal Oppermann auf dem Hauptfriedhof, die Wandplastik „Wiederaufbau“ im Landesarbeitsamt. Für Hanau können wir nennen: Bronzebüsten von Georg Wolff und Hugo Birkner im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe (Depot), das Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs auf dem Hauptfriedhof und die bronzene Tiergruppe „Drei Pinguine“. Bischoff hatte die Vögel als letzte Auftragsarbeit der Stadt Hanau anlässlich seines 85. Geburtstages 1961 für den Vorplatz der Pedro-Jung-Schule in der Gärtnerstraße geschaffen. Nach dem Abriss des Gebäudes (heute steht hier das Gemeindezentrum der Wallonisch-Niederländischen Kirche und das Kinopolis) wurden die Pelikane 2012 an die Elisabeth-Schmitz-Schule nach Wolfgang versetzt und dort prompt von Metalldieben geklaut. Das Gipsmodell im Depot der Städtischen Museen ist glücklicherweise erhalten. Vielleicht sind die Tiere ja doch nicht eingeschmolzen worden und irgendjemand weiß, wo sie stehen?
August Bischoff starb am 7. September 1965 in Frankfurt am Main. Zur Abrundung des Themas Hafentor: Die kleine Puttenskulptur mit Boot und Anker als Symbol der Schifffahrt an der Ecke Canthalstraße / Westerburgstraße stammt von Bildhauer Otto Crass (siehe OdW #102).