Stiftungsbrief der Hanauer Zeichenakademie
Die Hanauer Zeichenakademie trägt den guten Ruf Hanaus seit inzwischen 250 Jahren in die Welt. Sie wurde am 20. Juli 1772 gegründet. Das Datum ist Anlass für einen Festakt in dieser Woche.
Nach der Neustadtgründung 1597 und dem Freiheitspatent von 1736, das die Ansiedlung von Einwanderinnen und Einwandern begünstigte, stieg die Zahl der Bijoutiers, Goldarbeiter und Graveure in Hanau stark an. Im Kreis der Fabrikanten und Handwerker entstand schnell der Wunsch, das künstlerische Niveau der Lehrlinge und Meister durch eine Ausbildungsstätte zu heben – und diese nicht mehr in den damaligen Ausbildungshotspot Paris zu entsenden.
Durch eine Bürgeraktion gründeten sie eine Stiftung mit regelmäßigen Geldeinlagen und erwarben ein Haus in der Rebengasse (heute Gärtnerstraße, 1945 im Krieg zerstört, an dem Ort steht nun das Gemeindezentrum der Wallonisch-Niederländischen Kirche). Erbprinz Wilhelm von Hessen und Graf von Hanau, stand dem Unternehmen sehr positiv gegenüber und zeichnete den Stiftungsbrief zum 20. Juli 1772. Gründungsdirektor, premier professeur, war Jean Louis Gallien aus Paris, der 1766 nach Hanau kam und 1809 verstarb.
Die Zeichenakademie war zum damaligen Zeitpunkt keine Ausbildungsstätte für Edelmetallhandwerker wie heute, sondern künstlerische Lehranstalt. Hier konnte der erste Teil der akademischen Ausbildung, das Zeichnen, absolviert werden. Den zweiten Teil, das Malen, mussten die jungen Künstlerinnen und Künstler an anderen Akademien erlernen.
1866 wurde sie dem preußischen Handelsministerium unterstellt. 1872 zählte sie zu den fünf Akademien Preußens, die unter dem Protektorat des Kronprinzen standen und erhielt den Titel „Königliche Zeichenakademie“. 1880 siedelte sie in ihr heutiges Domizil an der Akademiestraße um. Architekt des Neubaus war Julius Carl Raschdorff; sein bedeutendstes Werk ist übrigens der Berliner Dom (!).
1883 durften auch Mädchen offiziell den Unterricht besuchen – in einer Klasse für Kunststickerei; vereinzelt waren Schülerinnen zuvor schon durch Professoren auf dem Gebiet der Malerei gefördert worden. Nachdem 1889 eine Ziselierwerkstatt, Goldschmiede- und Gravierwerkstätten initiiert wurden, verlieh man der Akademie den Untertitel „Fachschule für Edelmetallindustrie“. 1933 wurde sie zur „Meisterschule des deutschen Handwerks“. Im Zweiten Weltkrieg mussten an drei Tagen die Woche Geschosshülsen produziert werden, der Akademiebetrieb war zusammengebrochen. Nach 1945 konnte an alte Lehrzeiten angeknüpft werden. 2004 wurde ein neuer Ausbildungstrakt eröffnet. Heute ist sie als „Staatliche Zeichenakademie / Berufs-, Berufsfach- und Fachschule für edelmetallgestaltende Berufe“ weltweit eine der geachtetsten Ausbildungsstätten für Gold- und Silberschmiede wie -schmiedinnen. Im Gebäude ist seit 2012 auch die Brüder Grimm-Berufsakademie für Designmanagement und Produktgestaltung beheimatet.