„Die Herrin von Hanau“
Roman von Jenny Romberg, 1951
Paul Feldmann-Verlag / Marl-Hüls
Eigentlich ist ja „Hanau“ drin, wo „Hanau“ drauf steht… Bei diesem Buch, das Anfang der 1950er Jahre erschien, trifft dies leider nicht zu. Die Geschichte spielt keineswegs in der Brüder-Grimm-Stadt.
Aus dem Klappentext: „Die Liebe der Baroness Madleen von Hanau und des Gutsbesitzers Otmar Veithmann steht im Mittelpunkt der Handlung. Hart fasst das Schicksal die beiden jungen, liebenden Menschen an. Wie jedoch die Liebe obsiegt über Intrigen und Ränkespiele gewissenloser Gegner, das lesen Sie in diesem packenden Roman. Jenny Romberg schrieb ihn, und Ihnen wird dieses Werk der beliebten Schriftstellerin große Freude und Entspannung vermitteln.“ Schloss Hanau, Baron Erich von Hanau mit Farm in den Vereinigten Staaten, Baroness Madleen – 236 Seiten „Fake“…
Interessant wird es, wenn man nach der Autorin sucht und sich herausstellt, dass hier ebenfalls „geflunkert“ wurde. Denn hinter der „beliebten Schriftstellerin Jenny Romberg“ verbirgt sich Hans Karl Breslauer (Wien 1888 – 1965 Salzburg). Breslauer startete erfolgreich als Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor bei Leyka, Biehl und Mondial. 1919/1920 avancierte er zum Vizepräsident des Klubs der Filmregisseure Österreichs. Von ihm stammt u. a. die bis 2015 verschollen geglaubte Verfilmung des Romans „Die Stadt ohne Juden“ von Hugo Betthauer (1924). Der 75-minütige Streifen setzt sich in einer fiktiven Geschichte mit den antisemitischen Tendenzen der 1920er Jahre in Wien / Utopia auseinander. Hans Moser spielt darin den Wortführer der Judenhasser. Aufführungen wurden von Nationalsozialisten gestört, in Linz gar verboten. Angesichts der wenig später einsetzenden realen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden ist der Stummfilm erschreckend visionär und gilt heute als erstes filmkünstlerisches Statement gegen Antisemitismus. Hugo Bettauer starb 1925 an den Folgen eines Mordanschlags, verübt von einem Rechtsradikalen.
Diese Ereignisse, aber auch die Auswirkungen der durch Hollywood ausgelösten europäischen Filmwirtschaftskrise, mögen dazu beigetragen haben, dass sich Hans Karl Breslauer vom Filmgeschäft abwendete. 1925 heiratete er die Schauspielerin und Darstellerin in seinen Filmen Anny Miletty (1898-1948). Ab den 1930er Jahren sind von ihm Kurzgeschichten und Kriminalromane belegt, darüber hinaus Feuilleton-Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, von 1931 bis 1944 für die Satirezeitschrift Simplicissimus, die 1935 vom nationalsozialistischen Eher-Verlag übernommen wurde, unter dem Namen Bastian Schneider. 1940 trat er in die NSDAP ein und war Mitglied der Reichsschrifttumskammer.
Nach dem Krieg holte ihn die Vergangenheit ein. Breslauer legte sich weitere Pseudonyme zu: Jenny Romberg und James O´Cleaner. Bis 1964 veröffentlichte er insgesamt 21 Kurzromane, als Jenny Romberg neben der „Herrin von Hanau“ (1951) „Der Dohlengraf“ (1952), „Im Wirbel des Schicksals“ (1953), „Das Herz kann irren“ (1956), „Der Fluch der Sürch-Alp“ (1960). Allesamt sog. „Frauen-Romane“ der Wirtschaftswunderzeit, die über den Paul Feldmann-Verlag in Leihbüchereien, via Kiosks und Tabakwarengeschäften für wenige Pfennige Gebühr ausgegeben wurden. Breslauer starb 1965 verarmt im Landeskrankenhaus Salzburg.
Der Autor dieser Zeilen erwarb den Band aus Neugier im Antiquariatshandel und leitet ihn als Zeitdokument an die landeskundliche Abteilung der Stadtbibliothek im Kulturforum weiter. Dort werden alle Publikationen gesammelt, die in und über Hanau erscheinen. Auch wenn nur „Hanau“ drauf steht… Hinter dem Buchdeckel verbirgt sich ein unvermutetes Stück deutscher und österreichischer Geschichte von Aufstieg und Fall, Anpassung und Mitläufertum.