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Brief von Johann Wolfgang Goethe

an den Hanauer Strumpfwirker Fuchs

Wiesbaden, den 3. August 1815
Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V. / Stadtarchiv Hanau

Als „Objekt der Woche Nr. 5“ nehmen wir sehr gerne einen Vorschlag von Stadtführer Hans-Peter Kehl auf. Er weist auf ein besonderes „Schmankel“ in den Beständen unseres Stadtarchivs hin: Ein Schreiben Goethes, in dem der Dichterfürst bei dem Hanauer Seidenstrumpf- und Handschuhfabrikanten Nikolaus Fuchs ausgefallene Ware bestellt.

Hans-Peter Kehl schreibt: „Im Stadtarchiv befindet sich eine über 200 Jahre Original-Handschrift von Johann Wolfgang von Goethe. Beim Hanauer Strumpfwirker Fuchs bestellte er drei paar neue Strümpfe. Diese sollten ´nach Frankfurt am Mayn baldigst´ auf den Postweg gebracht werden. Ganz beseelt von dieser Rarität ging ich nach Hause und zeigte meiner Frau ein Foto davon. Ich las ihr den Text vor, um sie ein wenig durch meine fundierten typographischen Kenntnisse zu beeindrucken. Völlig ungerührt bemerkte Sie, dass eine Bestellung von ´weiterer und längerer Sorte als gewöhnlich´ den Hersteller bezüglich der tatsächlich gewünschten Konfektionsgröße doch einigermaßen ratlos zurückgelassen haben müsste; vielleicht hatte Fuchs die Maße Goethes aber auch in seiner Kundenkartei? Dann trat die Frage nach dem ´Warum?´ in den Vordergrund. Was veranlasste den 66-jährigen Goethe wohl zu einer Bestellung längerer und weiterer Strümpfe? Trug er im fortgeschrittenen Alter lange Unterhosen? Vielleicht hatte der Herr Geheimrat Gewichtsprobleme, Krampfadern oder sonstige Malaissen? Fragen über Fragen ...“

Das Schreiben in der „Übersetzung“:
H[err] Fuchs wird ersucht – für Unterzeichneten fertigen – zu lassen: – Zwey Paar seidne weiße – Strümpfe von weiterer –
und längerer Sorte als – gewöhnlich. Ferner – Ein Paar schwarzseidne – dergleichen. Sodann – Ein Paar schwarzseidne –
von gewöhnlicher Größe. – Mit dem Ersuchen – solche an H[errn] Dr. Christian – Schlosser nach Frankf[urt] – am Mayn baldigst ab- – zusenden. – J[ohann] W[olfgang] Goethe – Wiesb[aden] – d[en] 3. Aug[ust] – 1815

Das Unternehmen von Nikolaus Fuchs am „Gelnhäuser Bau“ in der Hospitalstraße der Neustadt (1757-1843) war wohl eine der bedeutendsten Hanauer Seidenstrumpfmanufakturen. Goethes Urteil an anderer Stelle über Fuchs´sche Strümpfe: „Er macht sie aber auch gar zu gut“. Der Geschäftszweig hatte 1815 rd. 450 Arbeiter in ganz Hanau. Goethe bestellte zudem Teppiche „vors Sofa“, Ordenskettchen, Ordenssterne und Ringe bei hiesigen Firmen.
In seiner Schrift „Über Kunst im Altertum in den Rhein- und Maingegenden“ widmete Goethe Hanau ein ganzes Kapitel. Er besuchte u. a. mehrmals die Wetterauische Gesellschaft für die gesamte Naturkunde und seine Protagonisten, die ihn bereits 1808 zum Ehrenmitglied ernannten. Dem in Hanau geborenen ersten akademisch ausgebildeten jüdischen Maler Deutschlands, Moritz Daniel Oppenheim, vermittelte er den Professorentitel. Mit dem ebenfalls in Hanau geborenen Maler Friedrich Bury war er gut bekannt, die beiden wohnten in den 1780er Jahren bei ihrem Italienaufenthalt in Wohngemeinschaft bei Wilhelm Tischbein; aus Burys Hand existiert ein sehr bekanntes Goethe-Porträt.

Gerhard Bott hat in der Veröffentlichung „Goethe und Hanau“ 1949 die Hanauer Bezüge in Goethes Leben ausführlich herausgearbeitet. Die Schrift ist in der Landeskundlichen Abteilung Hessen-Hanau im Kulturforum auszuleihen. Heiner Boehncke, Hans Sarkowicz und Joachim Seng fanden 2017 heraus, dass Goethes Großvater väterlicherseits, Johann Jakob Göthé, einst eine Schneiderlehre in Hanau bei dem Tuchhändler Wilckhaußen absolvierte („Monsieur Göthé – Goethes unbekannter Großvater, ISBN 978–3–8477–0391–4, Verlag Die Andere Bibliothek, 42 Euro).

 

Deutschlands älteste datierte Quittung Bildstelle v. GottschalckBrief von Goethe über „Hanauer Strümpfe“, 03.08.1815
(© Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V. / Stadtarchiv Hanau)