Hanauer Ratspokal
Hanau zwischen 1621 und 1625
Silber getrieben, gegossen, punziert, ziseliert und feuervergoldet
63,5 cm hoch, 1850 g schwer
Meister: zugeschrieben Hanns Rappoldt d. J. (* 1583 Nürnberg + 11. Mai 1625 Hanau)
Beschauzeichen der Hanauer Goldschmiedezunft am Standring des Fußes und an der Lippe der Kuppa, Meistermarke am Fuß.
Der besonders große und kunstvoll gestaltete Hanauer Ratspokal zählt zu den bekanntesten und wertvollsten Arbeiten der Hanauer Gold- und Silberschmiedekunst. Er hat eine bewegte Geschichte:
Im frühen 17. Jahrhundert gestaltet, versinnbildlicht das Meisterwerk die Gerichtsbarkeit der 1597 von calvinistischen Glaubensflüchtlingen gegründeten Neustadt Hanau. Ab 1811 taucht er in den städtischen Inventarverzeichnissen auf, 1879 wurde er „zufällig“ im Neustädter Rathaus in einer Eisenkiste „wiederentdeckt“. 1880 verkauften ihn die Stadtväter für 20.600 Mark an die Gebrüder Löwenstein aus Frankfurt am Main, die für Mayer Carl von Rothschild eine Goldschmiedekollektion aufbauen sollten. Zuvor erhielt der Hanauer Silberwarenfabrikant August Schleißner den Auftrag, eine Nachbildung für die Sammlung der Hanauer Zeichenakademie zu fertigen. Von seinem Unternehmen und der Fa. Neresheimer existieren weitere Kopien. Die Kollektion Rothschild wurde 1911 aufgelöst und versteigert. Der Hanauer Ratspokal gelangte in eine Privatsammlung und galt seitdem als verschollen.
Nach einem Hinweis von Professor Dr. Gerhard Bott, in Hanau geborener ehemaliger Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, konnte der Pokal 1990 durch eine Gemeinschaftsfinanzierung für Hanau aus dem Münchner Kunsthandel gesichert werden. Neben städtischen Geldmitteln wurden erhebliche Spenden und Förderungen der Kulturstiftung der Länder, der Hessischen Kulturstiftung, der Stiftung der Stadtsparkasse und Landesleihbank Hanau (heute Stiftung der Sparkasse Hanau), der Degussa Frankfurt sowie vieler Bürgerinnen und Bürger eingeworben. Seitdem wird der Pokal in der ehemaligen Bibliothek im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe präsentiert.
Die kunsthistorische Beschreibung: „Der Pokal ruht auf einem glockenförmigen Fuß mit sechspassigem Grundriss und gebauchtem Standring, der sechs flach reliefierte Bilder aufweist. Darüber schließt sich nach eingezogenem Mittelstück ein wiederum sechsfach gebuckeltes Oberteil an, auf dem sechs Relieffelder angebracht sind. Nach einem zylindrischen Mittelstück folgt der Nodus, der im Wesentlichen von drei Frauengestalten, den drei Grazien, gebildet wird. Zwischen den Figuren finden sich jeweils ein langgestrecktes Blatt- und Fruchtgehänge und eine bärtige Maske. Die Bekrönung des Schaftes bilden drei henkelartige Appliken, zwischen denen drei Widderköpfe angebracht sind. Dem Fuß entsprechend ist die gestreckte Kuppa in der Art einer umgekehrten, langgestreckten und in der Mitte stark eingezogenen Glocke geformt. In den oberen und unteren Außenwölbungen sind auf den Buckeln jeweils sechs Relieffelder angebracht, wobei der Raum zwischen den oberen und unteren Relieffeldern mit vegetabilem Ornament gefüllt ist. Der sechspassige Deckel wird von jeweils sechs Delphinen gebildet, die mit ihren breiten Häuptern auf bewegten Meereswellen am äußeren Rand es Deckels aufliegen. Die gedrehten Körper sind zur Deckelmitte hochgezogen. Ein Sockelstück, das von sechs plastischen Delphinschwänzen umgeben ist, trägt die Figur der Justitia als eigentliche Deckelbekrönung, wobei das Schwert der Justitia seit alters verloren ist. Fuß, Kuppa und Deckel sind jeweils aus einem Silberblech getrieben, wobei der Künstler bis an den Rand der Dehnbarkeit des Materials gegangen ist. Die Deckelbekrönung mit der Justitia und den Delphinschwänzen und die drei Grazien sind gegossen. Der Pokal ist außen wie innen mit Ausnahme der Inkarnate feuervergoldet.
Neben der kunstreichen Bearbeitung des Pokals fällt sein ungewöhnlich reichhaltiges ikonographisches Programm auf. Die Bekrönungsfigur des Deckels, die Justitia, gibt bereits das Thema des Pokals an: Die Gerechtigkeit im Sinne der auf kommunale Eigenverwaltung abzielenden Gerichtsbarkeit der Städte. Die Darstellung der eigenen Gerichtsbarkeit wurde nicht nur in den Freien Reichsstädten, sondern auch in einer einem Grafen untergeordneten Stadt wie Hanau für wichtig erachtet, wie der Justitiabrunnen auf dem Altstädter Marktplatz beweist. Die Allegorie der Gerechtigkeit wird von weiteren Tugendallegorien begleitet: Prudentia (Klugheit), Humilitas (Demut und Bescheidenheit), Caritas (Fürsorge und Nächstenliebe), Fortitudo (Tapferkeit), Temperantia (Mäßigung), Fides (Glaube) und Spes (Hoffnung). Diese Allegorien sind auf den Hauptrelieffeldern der oberen Kuppazone angebracht. In den Relieffeldern der unteren Kuppazone und des Fußes wird dieses Grundthema in emblematischen Darstellungen variiert, wobei die Bedeutung der einzelnen Emblemata durchaus noch offen ist.
Dieses reiche ikonographische Programm, das mit Sicherheit von einem Gelehrten mitentworfen wurde, ist für Pokale des 17. Jahrhunderts ungewöhnlich und herausragend.“ (Prof. Dr. Gerhard Bott, Dr. Anton Merk)
Die Hanauer Autorin Christiane Gref stellte den Ratspokal 2010 in den Mittelpunkt ihres historischen Romans „Das Meisterstück“ (Verlag M. Naumann).